Der Herzenswunsch von Harry Sternberg hat sich im raumB1 erfüllt

Artikel Landsberger Tagblatt, Samstag 16. März 2024:
Utting: Der Herzenswunsch von Harry Sternberg hat sich im raumB1 erfüllt (augsburger-allgemeine.de)

Harry Sternberg erfüllte sich mit dem raumBl in Utting einen Traum. Sechs Jahre lang betrieb der frühere Ingenieur dort ein ganz spezielles Kultur-Experiment. 

Von Sigrid Merkl 

Utting – Nein, kein Burn-out und auch kein Frust: Harry Sternberg hört freiwillig auf, aus gesundheitlichen Gründen, und weil er sich in den wohlverdienten Ruhestand zurückziehen möchte, der diesmal kein Unruhestand sein wird, so Gott will. Der nämlich, der Unruhestand, begann für ihn vor sechs Jahren im Alter von 63, als er mit dem raumBl ein ungewöhnliches Galerie-Projekt ins Leben rief. Damals hatte er zunächst an einen Bauwagen gedacht, den er womöglich hätte „bespielen“ wollen. Dann aber ergab sich eine völlig andere Option: Das ehemalige Fremdenverkehrsamt am Uttinger Bahnhof stand erneut zur Disposition und war für Sternbergs Vorhaben wie gemacht. Nicht nur eine kleine Galerie sollte es nämlich sein so sein Herzenswunsch, sondern auch ein Begegnungsort, der Menschen unterschiedlicher Couleur zusammenführen und den weniger Kunstbeflissenen die Schwellenangst nehmen sollte.

Was Harry Sternberg als Galeristen-Persönlichkeit heraushebt, ist diese offene Einstellung gegenüber Künstlern, Fotografen, Musikern und Interessierten, die viel Freiraum ließ für Gestaltung und Kreativität. Von den insgesamt 50 Veranstaltungen gab es immer auch Experimentelles etwa mit jungen Leuten, denen, er einfach den Schlüssel zum raumB1 in die Hand drückte mit der impliziten Aufforderung: Jetzt legt mal los! Moderiert und begleitet wurde eines dieser Projekte von der Künstlerin Hannah Doepke. Unter dem Titel „Independence – Die Maske fällt“ schwärmten die Teilnehmer aus, um Leute einzuladen und kleine Interviews zu erarbeiten, etwa mit der paradoxen Frage, worüber das Gegenüber denn nicht wirklich gern reden würde, Bei diesen Gesprächen zeichnete Doepke alle Jugendlichen im Porträt und gab ihnen 80 etwas Wertvolles zurück für ihren Beitrag zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft.

Interaktiv war auch die Installation von Matthias Rodach 2020, bei der er eine Schaltknopf-Leiste durch das große Schaufenster nach draußen hing. Verbunden war eine im Innern mit Scheibenwischer-Motoren und einem Gespinst aus Strümpfen als Keilriemen, das sich so von außen bedienen ließ. Überhaupt sei während Corona das große Glasfenster perfekt und bezüglich Ansteckungsgefahr risikofrei gewesen: „Da war das ideal, jeder war interessiert, weil man ja einfach nur reinschauen konnte, so Sternberg. 

„Die Ausstellungen haben sich ergeben, ich hatte keinen festen Plan“, erzählt er weiter. Thema der Eröffnung war mit „Freiheit, Wagnis, Staunen“ Claus Bastian, der im März 1933 als „Häftling Nr. 1“ in Dachau tatsächlich als erster Insasse des neuen Konzentrationslagers registriert worden war und ein halbes Jahr lang einsaß. Erinnerungsorte habe man aufgespürt, da Bastian in Utting aufwuchs, wo er in der Bahnhofstraße das Hochradfahren lernte. Über seinen Sohn Stephan entstand der Kontakt zu dem Zeichner und Karikaturisten Henry Meyer-Brockmann (19121968), „zu Adenauer-Zeiten der Karikaturist“ und nach seinem Tod bald in Vergessenheit geraten. Ihn konnte man 2018 mit „Leute von heute… und gestern“ ein Stück weit aus der Versenkung holen. 

So ergab sich eine Schau aus der anderen: Es folgte 2019 eine Dokumentation zum Herbsttreffen der Gruppe 47 im Jahr 1949, deren Mitglieder wiederum Meyer-Brockmann porträtiert hatte und die sich damals in Utting namentlich im Cafe Bauer herumgetrieben hatten. Im Sommer 2022 schließlich ging es um das Brecht-Haus Im Gries mit wieder sehr verschlungenen Pfaden im Hintergrund, die bis zum Brecht-Weigel-Haus in Buckow bei Berlin führten. Viele gäbe es da noch aufzuarbeiten, zu erforschen und aufzuarbeiten, findet Harry Sternberg. „Mir hat es wahnsinnig Spaß gemacht“, so sein zufriedenes Resümee. Entscheidend waren wohl auch die überschaubaren Kosten; Das war eine „Summe, wo ich sagen kann, da habe ich meine Freiheit, was zu machen, durch die niedrige Miete war das alles einfacher“ 

Der eigenen Vita war die Dokumentation über Flucht und Vertreibung geschuldet, da Sternbergs Eltern aus Schlesien stammten, die Eltern seiner Ehefrau aus dem Sudetenland. Sternberg selbst, als Nachzügler und viertes Kind auf einem Einödhof in Niederbayern geboren, verschlug es wegen seiner Lehrstelle zum Technischen Zeichner schließlich nach München. Auf dem zweiten Bildungsweg bildete er sich zum Ingenieur weiter. Kenntnisse der Fotografie erwarb er schließlich bei einem Fernstudium. Die haarfeine Grenze hin zum Sentimentalen überhaupt wahrzunehmen und sie dann entsprechend auch nicht zu übertreten, damit steht und fällt eine Dokumentation wie der Bildband „Ein Sommer in Holzhausen – Geschichten und Fotografien“, Er entstand begleitend zu einer Ausstellung in der Verwaltungsschule Holzhausen 2002 und legt Zeugnis. ab vom eigenen künstlerischen Schaffen Harry Sternbergs. Des wurde spür und greifbar, dass Sternberg schon damals ein glückliches Händchen hatte für eine Art von Zusammenarbeit, die nur dann zustande kommt, wenn Kinder gleichen Geistes zusammenfinden. In diesem Fall war es Wolf Dietrich Lüps, der die Gespräche mit alteingesessenen Holzhausenern führte und die Einleitung beisteuerte, damals Vorsitzender des Vereins „Unser Dorf“, Dazu kamen Harry Sternberg als Fotograf und mit Textarbeit, ferner Hörfunk Journalist Moritz Holfelder als Verfasser eines kurzen, aber poetischen und dabei vielsagenden Vorworts, das behutsam auch die weniger charmanten Seiten aus der Historie Holzhausens benennt. 

Harry Sternberg beendet seine Galerietätigkeit im ehemaligen Uttinger Verkehrsamt, dem raumB1.
Harry Sternberg beendet seine Galerietätigkeit im ehemaligen Uttinger Verkehrsamt, dem raumB1.Foto: Sigrid Merkl

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